Einmal Klassik mit scharf bitte!

Matthias Harbeck Matthias Harbeck

Einmal Klassik mit scharf bitte!

TikTok ist die Social Media App der Stunde. Kunden haben allerdings noch ihre Berührungsängste. Im letzten Jahr diente nur jeder hundertste Post Werbezwecken, bei Instagram war es dagegen schon jeder dreizehnte. Nur ca. ein Prozent? Marken lassen sich da einiges entgehen, fanden Serviceplan Germany CCO Matthias Harbeck und Team und haben da mal etwas ausprobiert …

 

TikTok wird von vielen immer noch als Teenie-Tanz-Plattform abgetan. Tatsächlich sind 83 Prozent der TikTok-User:innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwischen 13 und 24 Jahren. Aber erstens ist der Anteil der 25- bis 34-Jährigen im zweiten Halbjahr 2020 um 6 Prozent gestiegen und liegt nun bei 15 Prozent. Und zweitens nehmen auch andere Themen wie Comedy, Fashion, Food und Travel zu.

 

Aber: TikTok als Plattform für Politik? Als Arena für politische Meinungsäußerung?

 

Wir haben es mit einer politischen Kampagne darauf ankommen lassen. Herausgekommen ist ein Ergebnis, das die Erwartungen nicht nur übertroffen, sondern uns wirklich überrascht hat. Eigentlich kein Wunder. TikTok ist eine Plattform, bei der sich Voraussagen über das, was passieren wird, nur bedingt treffen lassen. TikTok birgt immer ein gewisses Risiko. Genau das macht es aber auch richtig spannend und lohnend, wenn man bereit ist, Kontrolle abzugeben.

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Am Anfang stand der Gedanke, zusammen mit der Organisation „Laut gegen Nazis“ etwas zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ zu machen. Unser Insight: Die große Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Nazis, aber in der Öffentlichkeit entsteht nicht dasselbe Bild, weil die große Mehrheit in der Regel eben schweigt, im Gegensatz zu Rechtsextremisten, die ihre Parolen laut herausbrüllen. Die Botschaft an alle stillen Nazigegner:innen: Nur im Kopf gegen Nazis zu sein reicht nicht. Es geht darum, laut zu sein. Laut gegen Nazis.

 

Wir starteten unsere Kampagne ganz klassisch mit einer einfachen, aber ungewöhnlichen Idee: Sätze ergeben nur Sinn, wenn man sie laut sagt. „Naht zieh’s raus!“ stand da groß und fett. Oder „Kai ´ne rächte geh Wald!“ Oder „Aus Lenn der Rhein!“ Dazu jeweils ein Störer mit der Aufforderung: „Sag es laut. Das macht den Unterschied.“

 

Die Lines sorgten bundesweit auf Plakaten, in Magazinen und Tageszeitungen sofort für Aufsehen, weil sie ein ernstes Thema ungewohnt leicht, aber gar nicht leise in Angriff nahmen. Besonders spannend war für uns aber der Sprung zu TikTok. Hier hatten wir nicht einfach unsere Motive „als Verlängerung“ geposted, sondern eine Challenge gestartet, bei der wir TikTok-User:innen animierten, unter dem Hashtag #NahtZiehsRaus laut und kreativ gegen Fremdenhass zu werden: „Schreie ihn, singe ihn, tanze ihn!“

 

Und genau das passierte. Binnen Tagen luden hunderte von User:innen ihre eigenen kreativen Videos hoch, in denen unser Hashtag gesungen oder getanzt wurde. Aus User:innen wurden Creators. Binnen einer Woche stieg die Anzahl der Views auf über 15 Millionen. Bis heute sind es über 20 Millionen!

Wirklich überraschend war, was mit dem Hashtag in Sachen Kreativität alles passierte. Der Zentralrat der Juden schrieb einen eigenen Song, der von vielen User:innen immer wieder neu gesungen, getanzt und geposted wurde. Promis wie Caro Daur tanzten gegen die Verbreitung von Gerüchten und Lügen da draußen an. Die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano richtete einen eindringlichen Appell an die junge Generation, den Holocaust nie zu vergessen. Auch die Tagesschau und Politiker:innen erhoben ihre Stimme gegen Rassismus.

 

Das Schöne ist: Der Ton der Videos war nie gleich. Ernstes traf auf Leichtes. Naheliegendes auf Unerwartetes. Ein Mann malte sich mit einem Edding das Wort „Panda“ auf die Brust, gefolgt von der Message „Sei wie ein Panda! He’s black, he’s white, he’s asian. Don’t care!“ Oder ein Österreicher in Lederhosen und eine US-Amerikanerin mit Stars-and-Stripes-Shirt tanzten „völkerverständigend“ im Schnee. Oder ein Junge interpretierte den Hashtag fußballerisch: Er schoss seinen Fußball einfach „raus“, runter vom Platz ins Tor.

 

Und nein, nicht jeder Post machte Sinn. Etwa wenn der Hashtag #NahtZiehsRaus rhythmische Körperzuckungen von tanzenden Teenies begleitete. Oder wenn er Videos zierte, in denen Dekodeckel von Spaghetti-Behältern mit Goldspray besprüht wurden. Äh … warum?

 

Warum nicht? Mit TikTok arbeiten, heißt vor allem locker bleiben. Die Mehrheit der Video Posts zu #NahtZiehsRaus machte ja auch sehr wohl Sinn. Und je weniger sie Bezug zum Thema hatten, desto weiter rutschten sie in der Rangliste der Postings nach unten und wurden dementsprechend weniger gesehen. Und selbst wenn man sie sah: Welchen Schaden richteten sie an? Eben. Umgekehrt bekam unsere Kampagne, die in klassischen Medien klassisch gestartet war, auf TikTok einen enormen Sichtbarkeits- und Kreativitätsboost bei Zielgruppen, die man mit klassischen Medien kaum mehr erreicht.

 

Auf TikTok wurde unsere Botschaft nicht nur millionenfach gesehen, sondern kreativ weiterentwickelt. Aus Sichtbarkeit wurde Verständnis wurde Involvement. Was will man mehr?

 

Let’s do more TikTok.

 

Autor: Matthias Harbeck, CCO Serviceplan Germany

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