Corona ist die erste multilaterale Krise – und sie betrifft alle Lebensbereiche, vor allen Dingen auch die Markenführung. Seit den 70er Jahren haben Serviceplan und die GfK alle sechs relevanten ökonomischen Krisen analysiert und dabei Anlässe, Dauer, Gewinner und Verlierer, erfolgreiche und nicht erfolgreiche Markenführungsstrategien unter die Lupe genommen. Die Erkenntnis: Noch nie haben sich die Marktanteile in den letzten Jahrzehnten so gravierend verschoben wie derzeit. Gleichzeitig ist die Marken-Loyalität mit ca. 40 Prozent auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren gefallen. Im Rahmen ihrer 28. Marken-Roadshow präsentierten die Serviceplan Group, die GfK und der Markenverband Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen, wie Marketingentscheider:innen mit der veränderten Marktsituation umgehen sollten. Das Chart-Booklet der Veranstaltung gibt es jetzt zum Download. Die wichtigsten Insights:
Ein Vergleich der Finanzkrise von 2009 und der Corona-Krise 2020 mit dem Referenzjahr 2018 zeigt: Unternehmen, die in Krisenzeiten ihre Werbung nicht reduziert haben, haben Marktanteile gewonnen. In der Finanzkrise um 18,5 Prozent, im Zeitraum der Corona-Pandemie sogar um 32,8 Prozent. 83 Prozent aller Verbraucher:innen in der gesamten DACH-Region verändern gerade ihr Konsumverhalten. Die Corona-Krise hat den ohnehin vorherrschenden Trend zu geringerer Marken-Loyalität noch weiter verstärkt. Lag diese 1989 noch bei 71 Prozent, ist sie jetzt bei einem Allzeittief von 41 Prozent angelangt. Die Konsequenz: Wir brauchen eine Neugewichtung unserer Zielgruppen: von Neukundengewinnung künftig hin zu prioritärer Bestandskundenpflege. Marketingentscheider:innen sollten gezielt in Markenbindung investieren.
Das Konsumverhalten ändert sich, das liegt vor allen Dingen auch an den gewandelten Wertvorstellungen. Geborgenheit und Nachhaltigkeit, aber auch Vertrauen, Nähe und Regionalität rücken in den Fokus. Umweltbewusstsein, soziale und gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen machen immer mehr den Unterschied bei der Kaufentscheidung. Die repräsentative Befragung von Konsument:innen aus dem Juni 2021 zeigt, was nach Corona bleiben wird: Um 21 Prozent steigt allein die Nutzung digitaler Markenplattformen, die Bedeutung von E-Commerce als wichtigstem Einkaufskanal wächst um 47 Prozent. Der Anspruch an Qualität und Inhaltsstoffe ist um 62 Prozent höher als noch vor der Krise. Die Konsequenz: Marken, die weniger in diesen Dimensionen verankert sind, bedürfen einer Korrektur ihrer Positionierung.
61 Prozent der Berufstätigen sind inzwischen weniger mobil und verbringen mehr Zeit im Homeoffice. Und sind sie unterwegs, so nutzen sie andere Fortbewegungsmittel: Öffentliche Verkehrsmittel (Index zwischen 84 und 86) und das eigene Auto (Index 94) verlieren an Bedeutung, die Wege zu Fuß (104) und per Rad (110) werden häufiger. Durch die veränderten Mobilitätswege und die massive Zunahme von Homeoffice – zeitweise um 70 Prozent – haben sich auch die Touchpoints, an denen man Menschen erreicht, verschoben. Social Media (+19 Prozent) und E-Commerce (+33 Prozent) erleben massive Zuwächse. Die Nutzung des insgesamt in der Krise rückläufigen Radio verlagert sich ins Web. Der Anteil von Paid Digital Content am vormals rein originären Print Content steigt um 19 Prozent. Die Sehdauer von TV ist in der Krise deutlich gestiegen (+14 Prozent), vor allen Dingen digitales Bewegtbild kommt hier on top. Die fortschreitende Digitalisierung erfordert eine völlig veränderte Customer Journey. Der Weg zwischen „erstmals gesehen“ und „sofortigem Kauf“ wird kürzer, Maßnahmen für Markenimage und Kaufaufforderung rücken dadurch zusammen.
Neue Datenschutzmaßnahmen (Cookieless-time) und die Walled Gardens der GAFAs erschweren die Sicht auf die User:innen. Dazu kommt das gesteigerte Augenmerk der Menschen auf ihre Privatsphäre. 54 Prozent der Deutschen löschen inzwischen regelmäßig ihre Cookies. 38 Prozent ändern immer wieder Passwörter und Logins. Nahezu jeder Dritte verwendet bestimmte Browser und Suchmaschinen, um seine Privatsphäre zu schützen. Marketingentscheider:innen müssen neue Wege gehen, zum Beispiel mit Tech-Adaptionen an Google, Policy und Datenschutz sowie Mediastrategien auf Basis von Media-Mix-Modellings. KI-basierte Zielgruppenbestimmung wird in Zukunft den auslaufenden Cookie-Ansatz ablösen. Der Aufbau unternehmenseigener 1st-Party-Daten ist wichtiger denn je. Das erfordert auch eine grundlegende Reform der technologischen Lösungen.
One-size-fits-all hat endgültig ausgedient – auch in der Kreation. Individuelle Botschaften erreichen unterschiedliche Personen in den verschiedenen Phasen ihrer Kaufentscheidung, angepasst auf das Medium, das sie gerade nutzen. Dafür ist die Produktion von unzähligen Variationen und die automatisierte KI-basierte Ausspielung über digitale Plattformen in Echtzeit nötig.
Die zunehmende Geschwindigkeit und eine immer komplexere Markenwelt setzen eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen externen Dienstleistern und Werbungtreibenden voraus. Die Marketing-Organisation jedes Unternehmens muss auf die ganzheitliche Erfassung von Customer Journeys ausgerichtet werden. Das noch vielfach verbreitete Betreuungsmodell mit 5 oder gar bis zu 10 externen und nicht vernetzten Dienstleistern ist überholt. Mediastrategie, CRM, Data, Technology und Produktion müssen künftig aus einer Hand gesteuert werden. Das Modell der integrierten Agenturen bis hin zur Customized Agency gewinnt nicht zuletzt deswegen an Beliebtheit.